Am Anfang der Nahrungskette

… steht an der Westküste der Südinsel der ahnungslose Tourist, der sich mit Trilliarden blutrünstiger Kreaturen konfrontiert sieht, die nach seinem Lebenssaft lechzen. Ich hatte vor der Reise immer wieder versichert, dass es in Neuseeland keine gefährlichen Landtiere gibt. Weit gefehlt! Die Vampire der Westküste, auch unter dem Namen Sandfly bekannt, gehören zu den schlimmsten Plagen die man sich vorstellen kann. Das Hinterhältige an den Biestern ist, dass man ihnen nicht ansieht, welchen Schaden sie am menschlichen Körper anrichten können. Die Miststücke haben entfernte Ähnlichkeit mit unseren Fruchtfliegen. Sie sind ungefähr 3mm groß, verursachen aber Juckreiz bzw. Schmerzen, die man viel größeren Insekten zuschreiben würde. Im Gegensatz zu unseren heimischen Mücken stechen die Viecher nicht, sondern beißen die Haut auf bis Blut fließt, um jenes dann genüsslich aufzuschlabbern. Der Juckreiz kommt dann oft erst mit Stunden Verspätung, dann aber mit aller Gewalt. Um die Bißstelle herum kann sich entweder ein großer tiefroter Entzündungsherd entwickeln oder eine mit Flüssigkeit gefüllte Pustel. Mir ist noch nicht ganz klar, wovon es abhängt wie sich die Wunde nach dem Biss entwickelt. Möglicherweise hängt es damit zusammen, in welcher Phase der Mahlzeit man das erbärmliche Leben dieses Tieres mit einem beherzten Schlag beendet.

Eine ganz besondere Futterstelle, an die täglich tonnenweise frisches Touristenblut geliefert wird, ist der Milford Sound. Der Milford Sound ist ein Fjord innerhalb des Fiordland National Parks und wird häufig als die größte touristische Attraktion ganz Neuseelands gehandelt. Ich schätze mal, dass bei mindestens 50% aller Neuseeland-Bildbände ein Bild des Milford Sound auf dem Buchcover prangt.

Der Milford Sound liegt am Ende einer 120km langen Sackgasse, die in der Stadt Te Anau beginnt. Die Fahrt von Te Anau ist wegen der zahlreichen Kurven kaum in zwei Stunden zu schaffen (wobei der Weg landschaftlich sehr reizvoll ist). Völlig schleierhaft ist mir jedoch, dass die meisten Touristenbusse aus dem mehr als fünf Fahrtstunden entfernten Queenstown angekarrt kommen. Die Bus-Touris fahren dort z.B. um 7:00 los, machen dann um 13:00 eine Bootsfahrt und treten um 15:00 wieder den Heimweg an, um dann um 20:00 wieder in Queenstown anzukommen. Zur Mittagszeit dürfte es auf dem Busparkplatz an der Bootsanlegestelle wie auf dem Zentralen Omnibusbahnhof in Berlin aussehen. Möchte man dem ganzen Trubel entgehen, bleiben einem nur zwei Möglichkeiten:

  1. Man besteigt ein Boot, bevor die Busse eintreffen (so gegen 10:00 hat man noch gute Chancen)
  2. Man nimmt ein Boot, wenn die Busse wieder weg sind (ab 15:00)

In beiden Fällen ist eine Übernachtung direkt am Sound sinnvoll, denn man möchte ja nicht im ersten Fall schon vor 8:00 in Te Anau aufbrechen oder im zweiten Fall abends spät wieder zurück fahren.

Den Touristenmassen kann man also mit geschickter Planung ganz gut aus dem Weg gehen, aber das Wetter ist leider nicht planbar. Die Westküste weist die höchsten Regenmassen Neuseelands auf und am Milford Sound regnet es an mehr als 200 Tagen im Jahr. Das soll zwar ganz nett aussehen, wenn bei Regen plötzlich überall Wasserfälle von den Fjord-Wänden herunter fallen, aber die Gipfel der den Fjord einrahmenden Berge würde man dann nicht sehen. Die Wände rund um den Fjord sind nämlich über 1000m hoch, der höchste Gipfel (Mitre Peak) erhebt sich sogar 1692m über die Wasseroberfläche. Ich hatte schon einige Tage vorher immer wieder bei drei verschiedenen Wetterdiensten die Prognosen beobachtet, und es sah richtig gut aus! Am Abend bevor wir zum Fjord herunter fahren wollten, übernachteten wir in Te Anau. Wir kamen dort bei herrlichem Sonnenschein und blauem Himmel an. Die Wettervorhersage für den Sound war völlig ungewöhnlich: die ganze Woche über nur Sonnenschein und klare Nächte:

Wetterprognose Milford Sound

Wetterprognose Milford Sound

Normalerweise gibt es dort kaum mehr als zwei Tage Sonne in Folge. Ich habe dann abends noch aus Te Anau eine 2:15h Bootstour für den folgenden Nachmittag gebucht. Alles perfekt!

Am nächsten Morgen kam es wie es kommen musste: der Himmel zeigte diverse Grauschattierungen! Wie kann das denn sein? Lügen sämtliche Wetterfrösche? So etwas kann einem schon mal den Morgen versauen! Wir machten uns dann auf den Weg in die Sackgasse. So nach einer halben Stunde gab es dann ein paar blaue Flecken zwischen dem Grau und gegen Mittag war der Himmel fast komplett blau und die Sonne schien. Meine Stimmung hellte sich wieder auf. Gut dass ich nicht die Vormittags-Variante gewählt hatte, dann hätten wir noch voll die Wolken mitbekommen! Das Boot war wirklich nicht voll und der Fjord auch sehr schön. (Bilder zum Vergrößern anklicken)

Aber so völlig weggeblasen, dass wir den Mund nicht mehr zugekriegt hätten, hat es uns nun auch nicht. Als größte Attraktion Neuseelands fanden wir es überbewertet, dafür hat das Land viel viel mehr zu bieten. Das mag anders sein wenn man das Glück hat, den Sound bei besonders stimmungsvollem Licht oder Windstille zu erleben. Eine Google-Bildersuche nach „Milford Sound“ liefert schon nette Bilder.

Am nächsten Morgen hätte ich gern noch ein paar Fotos bei Morgenlicht geschossen, aber der Himmel war wieder mit fetten Regenwolken verhangen. Diese lichteten sich dann – wie am Tag zuvor – gegen Mittag. Den ursprünglichen Plan, auf der Rückreise noch eine Übernachtung an der Milford Road (so heißt die 120km Sackgasse) einzulegen, verworfen wir wegen der Sandflies. Was nützt uns die schönste Gegend, wenn wir den Camper nur mit gefährlichen Blutverlusten verlassen können? Wir übernachteten dann nochmals in Te Anau, was ein netter Ort an einem See ist.

Lake Te Anau

Lake Te Anau

6 Gedanken zu „Am Anfang der Nahrungskette

    • Oh nein Doris! Jetzt raubst du mir jegliche Hoffnung, dass wir dem Einzugsgebiet dieser Biester entkommen sind. Ich bin gespannt. Haben uns aber jetzt auch mit Chemiekeulen eingedeckt.

  1. Ein sehr schöner Bericht, danke! Ich wundere mich seit Jahren, dass wir im Milford Sound bei ähnlich tollem Wetter von den Viechern fast komplett unbehelligt blieben – wir dachten damals schon, wir wären auf geheimnisvolle Weise immun gegen Sandflies… bis wir am Lake Rotoiti bei Nelson in einer schwarzen Wolke saßen.
    Mein vollstes Mitleid also!

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